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Rasierklingen

Trotz meines eigenen, eigentlich besseren Wissens, treffe ich mich weiter mit Clemens. Ich sollte mich eigentlich gut genug selber kennen, um zu wissen, dass ich gerade einen großen Fehler mache, der eventuell in sehr viel Schmerz endet. Ich weiß, dass er noch nicht bereit ist. Ich weiß, dass er noch nicht mit seiner letzten Beziehung und Freundin abgeschlossen hat.

Man merkt es in manchen Situationen. In seiner Wohnung beispielsweise. In seinem Küchenschrank, oben bei den weniger benutzten Tassen, liegt eine leere Packung Rasierklingen, in einer Tasse. Rasierklingen für einen Frauenrasierer. Als ich die Packung das erste Mal gesehen habe, musste ich lachen und habe Clemens gefragt, warum genau dort eine leere Packung Rasierklingen liegt. Er nahm sie in die Hand, sah sie kurz an und erklärte mir, dass die von seiner Ex-Freundin sind, die noch kurz vor ihrem romantisches Zusammentreffen mit dem Neuen, in die Wohnung gekommen ist, um sich ihre nötigsten Schönheitsprodukte zu holen. Dabei eben auch ihre Rasierklingen. Die Packung ließ sie demonstrativ auf der Küchenzeile liegen, als Erinnerung, dass es vorbei ist sozusagen. Ganz nette Frau, wie mir scheint.

Und dann: Wanderte die Packung, leer wie sie war, zurück in den Schrank. Clemens ist nicht unordentlich oder dreckig, noch war der Mülleimer zu voll oder wir mussten schnell los, sodass er es einfach auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wollte. Nein, wir waren gerade dabei Frühstück zu machen, uns dann an den Tisch zu setzen und den kommenden Sonntag gemütlich zu starten. Dementsprechend muss in meiner hobbypsychologischen Art davon ausgehen, dass er die Packung behalten möchte. Mit Absicht. Sie scheint ihm wichtig zu sein. Vielleicht als Erinnerung an das was falsch gelaufen ist, vielleicht ganz einfach als Erinnerung an sie.

Dies ist nur eine winzige Situation, die vielleicht auch gar nichts, außer seine mögliche Faulheit, zu bedeuten hat. Dennoch kann ich nicht aufhören mir über solche Dinge Gedanken zu machen. Ebenso die Tatsache, dass er in der alten Wohnung, die sie gemeinsam bewohnt haben, nun alleine wohnt. 90m² und ein bisschen minimalistisch eingerichtet. Sprich: es fehlen ein paar Möbel, die sie wohl im Zuge der Trennung mitgenommen hat. Er wohnt also in einer Wohnung, die nicht nur viel zu groß und halb leer ist, sondern theoretisch auch viel zu teuer ist. Gut, das ist lediglich Spekulation und Vermutung. Trotzdem, die Vorstellung, dass ich damals in der gemeinsamen Wohnung mit Martin wohnen geblieben wäre, länger als nur irgendwie nötig, ist sehr befremdlich für mich. Ich wollte nichts wie weg. Scheinbar haben nicht alle Menschen nach einer Trennung dieses Bedürfnis.

Warnsignale. Alles Warnsignale. Und das schlimme ist, dass ich es weiß. Ich nehme es aktiv wahr. Ich sehe, dass er nicht wirklich bereit ist. Aber ich rede mir ein, dass ich ihm einfach Zeit gebe und dass es mit der irgendwann klappt. Dass er irgendwann einfach seine Ex-Freundin vergisst und bemerkt, wie gut wir eigentlich zusammenpassen. Denn, wenn wir zusammen sind, meine ich zu wissen, dass er nicht unbedingt über seine vergangene Beziehung nachdenkt. Es ist jedes Mal wirklich toll. Seit wir die regelmäßige Kommunikation gemeistert haben und nicht mehr im Kindergarten leben und uns dementsprechend dreimal die Woche zu Gesicht bekommen, läuft es fantastisch. Naja, bis auf die kleinen komischen Rasierklingen-Momente.

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