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Seit ungefähr einer Woche kann Clemens nun ein bisschen mehr aus seiner Haut. „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“ Nachrichten zum Beispiel, würde ich als großen Fortschritt bezeichnen. Die kleinen Aufmerksamkeiten, die irgendwie zeigen, dass er doch ein wenig Interesse hat. Außerdem, dass er meine Nachrichten nicht im Sand verlaufen lässt.

Zwischendurch habe ich tatsächlich mal gar nicht geschrieben und darauf gewartet, dass er sich als erstes meldet. Jaja, Kinderkram. Das Resultat war schockierend. Eine komplette Woche lang, kam kein Lebenszeichen, bis er Freitagabend anrief, um zu fragen, was ich vorhatte und ob wir nicht etwas unternehmen sollten. In meinen Augen ist es irgendwann zu einem Machtspiel geworden. Vielleicht hat er es nicht als solches wahrgenommen, für mich aber ging es genau darum. Macht. Die Macht, die er über mich hat, indem er sich gar nicht meldet und mir das Gefühl gibt, ich habe in seinem Leben keinen Wert und keinen Platz. Nur um dann eine Woche ins Land streichen zu sehen und zu erwarten, dass ich springe, sobald er Lust hat, seine Zeit mit mir zu verbringen. Das wiederum geht mir gehörig gegen den Strich. Ich habe ja schließlich nicht die gesammelten letzten Jahre als Single damit zugebracht mich und meine Umwelt davon zu überzeugen, dass ich auch alleine glücklich sein kann, um dann bei nächstbester Gelegenheit „Puh“ zu schreien, wenn endlich ein Mann vorbei kommt, der mich haben will.

Da ich Clemens nun seit ca. sechs Wochen kenne, könnte man davon ausgehen, dass man zumindest die aktuellen Lebensneuigkeiten auf einem ganz sanften Niveau austauscht, dass man ein Interesse entwickelt hat, wie es dem anderen geht, wie der Tag war etc. und dass man eventuell eine kleine Routine entwickelt hat, die einem klar sein lässt, dass man sich auf jeden Fall noch einmal sieht und die Zukunft des nächsten Dates nicht völlig ungewiss lässt.

Gerade die Anfangsphase einer solchen „Beziehung“ sollte ja aufregend sein. Aber in einem positiven Sinn. Na klar, die ersten paar Dates, nach denen man sich vielleicht fragt, ob die andere Person auch Interesse hat. Ob die andere Person es auch so aufregend fand oder wann man einen Schritt weiter geht. Der erste Kuss, die erste gemeinsame Nacht usw. Alles Erwartungen, denen man nach den ersten erfolgreichen Dates entgegen fiebert. Nicht so hier. Alles nach einem „Date“ geschehen und alles für toll befunden. Aber der ganze Rest fehlt. Aber eben nur von seiner Seite, weswegen die Situation ja so frustrierend ist.

Bis zur letzten Woche, nachdem ich mit Johanna gesprochen hatte. Ich habe Befürchtungen, dass die beiden Ereignisse zusammengehören, obwohl ich Johanna ausdrücklich gebeten habe Clemens nichts aus unserem Gespräch mitzuteilen. Ich bin schließlich keine 13 Jahre und will, dass meine Freundin mit dem Typen, den ich soo mag redet, weil er mich nicht mag.

Dennoch meldet er sich nun etwas regelmäßiger, was auch dazu führt, dass er ein paar Tage vorher anfragt, ob wir was tun wollen und nicht einfach vor meiner Tür steht. Was wiederum dazu führt, dass wir uns tatsächlich sehen. Letzte Woche ganze drei Mal.

Er war ganz fasziniert von all der Zeit, die ich plötzlich zu haben schien. Ich überlegte kurz, ob es sich lohnen würde da ein Fass aufzumachen bezüglich sich melden und anfragen etc., entschied mich aber dagegen.

Letztlich verbrachten wir das erste Mal tatsächlich qualitativ hochwertige Zeit miteinander. Zeit, in der man sich tatsächlich unterhält über das Leben und alles was zu so einem Date gehört. Was auch das erste Mal war, an dem er von seiner gescheiterten Beziehung erzählte. Ich muss feststellen, unsere Geschichten sind gar nicht so unähnlich. Seine Ex hat ihn betrogen mit einem Kollegen, den sie über die Arbeit kennengelernt hat. Auch nicht die feinste Art eine Beziehung zu beenden. Aber er sagt heute, ein Jahr ungefähr nach dem Ende der Beziehung, dass er die Zeichen gesehen hat, sie aber viel zu lange ignoriert hat. Also zum Teil eben auch seine Schuld.

Was mich stutzig macht, ist die Art und Weise, wie er von seiner Ex-Freundin erzählt. Er benutzt ihren Namen, den ich logischerweise nicht kenne. Als ich nachgefragt habe, von wem er jetzt genau redet, sagt er in einem komischen Ton „Na meine Ex-Freundin“, als sollte ich ihren Namen kennen. Es war komisch. Viele Kleinigkeiten, deren Subtext ich versuche zu lesen, mit mäßigem Erfolg, aber umso mehr Bauchschmerzen. Dieses Thema ist bei weitem noch nicht durch. Sowohl zwischen „uns“ als für ihn alleine. Ich habe meine Erfahrungen mit gebrochenen Herzen und hinterhertrauern gemacht und war ein Jahr nach der Trennung auch bei weitem noch nicht bereit für etwas neues Ernstes.

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